An der Nadel hängend kehrte ich Berlin den Rücken zu. Die Wolle ruft mir zu: “Nimm mich mit.” Die offizielle Diagnose lautet: hochgradig süchtig. Wie konnte ich diesem Leiden erliegen?

Häkeln ist für mich wie Therapie. Die Anfänge meiner Handarbeiten starteten im Kindesalter. Stricken lernte ich von Oma Anneliese sowie von meiner Mama. In der Schule gab es Handarbeitsklassen auf dem Lehrplan. Häkeln war mir noch eher lästig: als Jugendliche andere Dinge sinnvoller. Die Zeit verging wie im Flug bis ich mein Diplom zur Diätassistentin in den Händen hielt. Wegen der Arbeit zog ich nach Berlin und als Freizeitausgleich hatte ich wieder angefangen zu stricken. Ich lernte Strickschriften zu lesen und erarbeitet mir meinen ersten Pullover mit Muster. Durch Strickzeitschriften lernte ich Socken zu stricken. Vor den Augen lag Häkeln als mein Ziel und ich scheiterte an meinem Bemühen.
Anfänge einer Sucht
Mama sagt: „Das Häkeln ist überflüssig und für die Dinger hast du keinen Platz.“ Die größte Schaffenslust meiner Mama ist der hauseigene Garten. Ich suchte verzweifelt nach einem praktischen Anhaltspunkt und gebe ein Hoch auf das Internet. Bei meiner Suche fand ich eine Youtuberin aus Österreich, Elisabeth Wetsch (eliZZZa). Hin und weg von ihren Arbeiten fing meine Sucht langsam an zu wachsen.
Durch sie lernte ich mein erstes Amigurumi zu häkeln. „Hello Lucy“, als Vorlage nahm sie ihre Katze Lucy. Zur Adventzeit gestaltet sie seit 2011 in jedem Jahr einen zauberhaften Kalender. Jeden Tag eine überraschende Videobotschaft: vom Adventsstern bis zum Deckchen. – eine Geschichte oder ein Geschenk von einer Freundin. EliZZZa nennt ihre Club-Mitglieder liebevoll „Ihre Schäfchen“. Ich bin ein Schäfchen.
Granny-Squares neu im Trend

Es gab Zeiten da plagten mich Depressionen, und Handarbeiten waren meine Therapie. In der Tagesklinik fand ich Gleichgesinnte die an Stricken und Häkeln Freude hatten. In dieser Zeit hüpfte mir manches Amigurumi von der Nadel und ich hatte ein neues Ziel. Tierchen basteln und diese mit Freude an Andere verschenken. Ob Seepferdchen oder Schildkröte: Ich versuchte alles nachzuarbeiten was ging. Meine Wolltierchen bekamen ihren eigenen Stil – sie sind nie fehlerfrei. Die Nilpferddame Gloria war eins meiner Lieblingsprojekte und besteht aus Granny-Squares. Von der Mitte nach außen gehäkelt entsteht ein Granny aus drei bis acht Ecken. Jedes kleine Deckchen wird durch Wollreste zu mehrfarbigen Unikaten. Andere beendete Grannys sammle ich fürsorglich für eine Decke. Circa 20 Prozent meiner Projekte fange ich an und sie landen als unfertige Objekte in einer Kiste. Die Spinne Hinkebein liegt wartend in dieser Box endlich einen Platz zu finden. Der Robbe fehlt ihre Gesichtsmerkmale und ihre Freundin Chili ist untröstlich.
Handarbeiten in Zeiten von Social Media
Auf der Suche nach neuen Projekten entdeckte ich Facebook als endlosen Pool für Ideen. In Gruppen gibt es gemeinschaftliche Projekte bei dem jeder sein Werk häkelt und diese haben den Namen Crochet Along (CAL). Dabei verteilt eine Person Häkelanleitungen in mehreren Teilen und fertige Arbeiten postet jeder in ein Album der Gruppe. Die kreative Michaela Hettegger bietet Drachen Amigurumis auf ihrer Website – Angel Design – an. An einem ihrer Projekte nehme ich teil und am Anfang jeder Woche reicht sie die Häkelangaben in die Gruppe. Auch wenn es heiß ist warten die süchtigen Mitglieder auf ihre wöchentliche Aufgabe.
Wolle sind doch Rudeltiere
Bei den hohen Temperaturen fällt es dem Einen oder Anderen schwer Handarbeiten auszuführen.Jasmin von „Mein gehäkeltes Herz“ schreibt darüber auf ihrer Website. Im Sommer finde ich trotz der Wärme meine innere Ruhe beim Häkeln und entspanne mich. Die Sucht kommt durch. Mir fehlt die Nadel in der Hand und das Gefühl der Wolle auf der Haut. Die Sucht begleitet mich zum Einkaufen und zieht mich magisch zu den Regalen mit Wollknäueln. Die Springwolle landet ohne jegliches zutun meinerseits im Einkaufswagen. Mein Motto lautet: „Häkeln meine Sucht.“ Nach Wolle süchtig kehrt ich in meine Heimat zurück. Wann ist die Zeit für die Gruppe der anonymen Wollaholics?